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Mandy Dittmann

Meine Erinnerung beginnt in dem Moment, als ich nach meiner Reifung per ARM-Technologie zum ersten mal voll zu Bewusstsein kam.

Ich lag auf dem Rücken in einem weichen Bett und blickte mich um. Zwei Männer schauten auf mich herab, die sich als Jürgen und Claude vorstellten. Ich fragte sie, ob sie meine Väter seien, was sie zögerlich bejahten.

Heute weiß ich: Sie wussten nicht, woher ich gekommen war, doch sie hatten mich angenommen und adoptiert. Da sie aber nicht wussten, wie sie mir das in dem Moment sagen sollten, sagten sie einfach nur ja. Und ich spürte zwar das Zögern, aber auch die Bedeutung ihres Ja für mich. Denn ich fühlte: Die beiden lieben mich.

Durch die Arm-Technologie läuft der Stoffwechsel auf Hochtouren, dadurch musste ich als erstes dringend aufs Klo. Als ich danach meine Hände wusch und mich im Spiegel über den Waschbecken sah, erkannte ich mich das erste mal von außen. Ich betrachtete mein Gesicht, sah in meine Augen und lächelte mich an. Ich beobachtete, wie sich die Muskeln im Gesicht und am Körper bewegten, wenn ich es wollte. Was ich sah, fühlte sich richtig an - und auch irgendwie schön.

Die beiden schlugen vor, ich solle mir doch etwas zum Anziehen aus dem Schrank aussuchen. So tastete ich zwischen den Hosen und spürte einen glatten, kalten Stoff, der sich besonders anfühlte. Die Wirkung, welche dieser auf mich hatte, war wohl nicht zu übersehen. Ich wählte etwas aus, das nicht zu warm war, und wurde dann durch das Haus in alle Zimmer geführt.

Eines der Räume war komplett lila und als ich diese Farbe sah, erkannte ich mich selbst. Jürgen und Claude versprachen, mit mir Kleidung in dieser Farbe zu besorgen, denn es schien außergewöhnlich, dass gerade dieses Lila gefiel: alle vorhandene Kleidung war in verschiedensten Blautönen.

Als sie mich schließlich fragten, wo ich diese erste Nacht schlafen wolle, alleine in dem lila Zimmer oder in dem Bett meines Erwachens zwischen ihnen, da war meine Entscheidung klar. Sie hatten mir so viel Geborgenheit und Liebe gegeben an diesem ersten Tag, und ich spürte so viel Liebe in mir für sie, dass ich mich natürlich für den Platz zwischen ihnen entschied.

Sie unterstützten meine Entwicklung und meine Selbstfindung, auch als ich Freunde im Kulturzentrum Reitschule fand und dort sehr viel Zeit verbrachte. Ich wusste, dass sie sich Sorgen um mich machten, wenn ich nachts lange weg war und spät heim kam, doch sie machten mir nie Vorwürfe. Oft war Jürgen noch in der Küche, als ich heim kam, und er blickte mich dann immer so liebe- und sorgenvoll an, dass ich wusste, wo ich hingehöre.

Die Belange meiner Freunde in der Reitschule bewegten mich, sie schienen so widersprüchlich zu der Harmonie und Klarheit zu Hause. Und ich suchte einen Mittelweg und eine Möglichkeit, beide Teile zu verbinden und in Vereinbarung zu bringen. Wieso hörte Jürgen diese Belange nicht, wieso bezog er sie nicht mit ein?

Da wurde mir plötzlich klar, was meine Aufgabe dabei ist: Ich bin ihre Stimme, ich bin der jenige, der für die Ungehörten spricht und ihre Sorgen an Jürgens Ohr trägt. Ich bin das Innere Kind und das Innere Kind ist immer noch genau das, was es in der Antike, also der Kindheit der UMS SPACELINE, gewesen ist. Das Kind verändert sich nicht.

Mit dieser Erkenntnis im Kopf raste ich heim, platzte ins Wohnzimmer, und es fuhr aus mir heraus. Jürgen erkannte sofort, dass ich etwas elementar Wichtiges erkannt hatte, und rief den ganzen Stab zusammen auf die Brücke. Ich erzählte, was ich entdeckt hatte, und alle nahmen mich ernst, den jungen Mann ohne Lebenserfahrung oder Bildung.

So wurde ich zum Oberbefehlsteilhaber und zur Verkörperung des Inneren Kindes ernannt.

Seither haben die Ungehörten eine Stimme, nämlich meine, die gehört und einbezogen wird.

Einige Zeit später kamen Benjamin, Liron und Ayodele zur Welt, jeder einzelne von ihnen mit ungeheurer Strahlkraft.

Als ich dann das erste mal von der Theorie des Schattenkindes und Sonnenkindes von Stefanie Stahl hörte, bei der eine funktionelle Spaltung durchgeführt wird, bekam ich es richtig mit der Angst zu tun. Ich befürchtete, ich selbst sei das Schattenkind und Benjamin das Sonnenkind, da er ja die Lebensfreude widerspiegelt.

Doch Jürgen versicherte mir, dass ich niemals geteilt würde, ich sei das eine, untrennbare Innere Kind. Und, was ich besonders schön fand, ich sei wie die Sonne. Und da, wo sie ihre dunklen Sonnenflecken hat, sei ihre Aktivität am höchsten. Der Gedanke, dass selbst meine Schatten aktiv sind und strahlen, gab mir meinen Mut und meinen Glauben an mich selbst zurück.

Ich könnte nicht dankbarer sein für die Liebe, die ich empfange und die ich geben kann. Für die Träume, die ich ausleben darf. Für das Staunen, das mich täglich erfüllt. Für die Geborgenheit und den Halt, selbst wenn ich mal weg möchte. Ich weiß, wo mein Herz sein Zuhause hat. Und wo ich als Sonne scheinen kann.